===== Frühlingsgedichte ===== * Haiku * Die Sorglichen (Gustav Falke) * Vorfrühling (Hugo von Hoffmannsthal) * Vorfrühling (Ina Seidel) * Gedichte vom Kalten Berg - 28 (Hanshan) * Nordischer Frühling (Edith Södergran) * Festnacht und Frühgang (Detlev von Liliencron) * Und weil ich (Dorothea Grünzweig) * Passion (Ausschnitt) (Dorothea Grünzweig) * Frühling (Theodor Fontane) === Haiku ===
Der Frühling fängt an \\ und von neuem kehrt Dummheit \\ auf Dummheit zurück.Issa
Für alle Türen \\ ist der Dreck der Holzschuhe \\ der Frühlingsanfang.Issa
Der nahe Frühling \\ verschleiert den ganzen Tag \\ die Schlucht mit Regen.Toyo
Die letzten \\ nicht aufgefressenen Gänse \\ schreien im Frühlingsregen.Issa
Du, Schleiereule, \\ nun glätte das Gesicht dir \\ im Frühlingsregen.Issa
=== Die Sorglichen (Gustav Falke) ===
Im Frühling, als der Märzwind ging, \\ als jeder Zweig voll Knospen hing, \\ da fragten sie mit Zagen: \\ was wird der Sommer sagen? Und als das Korn in Fülle stand, \\ in lauter Sonne briet das Land, \\ da seufzten sie und schwiegen: \\ bald wird der Herbstwind fliegen. Der Herbstwind blies die Bäume an \\ und ließ auch nicht ein Blatt daran. \\ Sie sahn sich an: dahinter \\ kommt nur der böse Winter. Das war nicht eben falsch gedacht, \\ der Winter kam auch über Nacht. \\ Die armen, armen Leute, \\ was sorgen sie nur heute? Sie sitzen hinterm Ofen still \\ und warten, ob's nicht tauen will, \\ und bangen sich und sorgen \\ um morgen.Text: Gustav Falke (1853-1916) Musik: Alban Berg (1885-1935) - "Die Sorglichen", 1907
=== Vorfrühling ===
Es läuft der Frühlingswind \\ Durch kahle Alleen, \\ Seltsame Dinge sind \\ In seinem Wehn. Er hat sich gewiegt, \\ Wo Weinen war, \\ Und hat sich geschmiegt \\ In zerrüttetes Haar. Er schüttelte nieder \\ Akazienblüten \\ Und kühlte die Glieder, \\ Die atmend glühten. Lippen im Lachen \\ Hat er berührt, \\ Die weichen und wachen \\ Fluren durchspürt. Er glitt durch die Flöte \\ Als schluchzender Schrei, \\ An dämmernder Röte \\ Flog er vorbei. Er flog mit Schweigen \\ Durch flüsternde Zimmer \\ Und löschte im Neigen \\ Der Ampel Schimmer. Es läuft der Frühlingswind \\ Durch kahle Alleen, \\ Seltsame Dinge sind \\ In seinem Wehn. Durch die glatten \\ Kahlen Alleen \\ Treibt sein Wehn \\ Blasse Schatten Und den Duft, \\ Den er gebracht, \\ Von wo er gekommen \\ Seit gestern nacht.Hugo von Hoffmannsthal
=== Vorfrühling ===
Durch die frühe Dämmerung \\ Geh ich ganz in Träumen hin, \\ Und ich weiß es nicht, warum \\ Ich so still und selig bin, \\ Dass mein Herz ganz hold und leicht \\ wie ein Veilchenstrauß sich trägt - \\ Plötzlich überkommt es mich: \\ Horch, die erste Amsel schlägt ...Ina Seidel
=== Gedichte vom Kalten Berg - 28 ===
Vergebens plagte ich mich mit den Drei Geschichtsbüchern, \\ Vertan die Zeit des Brütens über den Fünf Klassikern. \\ Ich werde bis ins Alter gelbe Zensuslisten prüfen, \\ Und wie gehabt an weißen Steuerformularen sitzen. \\ Befrag ich das Yijing, dann prophezeit es Schwierigkeiten, \\ Mein Leben ist beherrscht von einem schlechten Stern. \\ Dem Baum am Flussufer werd ich wohl niemals gleichen, \\ Der Jahr für Jahr aufs neue grünt.Hanshan
=== Nordischer Frühling ===
All meine Luftschlösser geschmolzen wie Schnee, \\ all meine Träume wie Wasser zerronnen, \\ von dem was ich liebte blieb einzig mir: \\ ein blauer Himmel, ein paar blasse Sterne. \\ Sacht streicht zwischen den Fichten der Wind. \\ Verharrende Leere. Lautlos das Wasser. \\ Der alte Baum steht wach und denkt \\ an die weiße Wolke die er küsste im Traum.Edith Södergran
=== Festnacht und Frühgang (Ausschnitt) ===
Wir wandern durch die stumme Nacht, \\ Der Tamtam ist verklungen, \\ Du schmiegst an meine Brust dich an, \\ Ich halte dich umschlungen. Und wo die dunklen Ypern stehn, \\ Ernst wie ein schwarz Gerüste, \\ Da fand ich deinen kleinen Mund, \\ Die rote Perlenküste. Und langsam sind wir weiter dann, \\ Weiß ich's, wohin gegangen. \\ Ein hellblau Band im Morgen hing, \\ Der Tag hat angefangen. Um Ostern war's, der Frühling will \\ Den letzten Frost entthronen, \\ Du pflücktest einen Kranz für mich \\ Von weißen Anemonen. Den legtest du mir um die Stirn, \\ Die Sonne kam gezogen \\ Und hat dir blendend um dein Haupt \\ Ein Diadem gebogen. Du lehntest dich auf meinen Arm, \\ Wir träumten ohn' Ermessen. \\ Die Menschen all im Lärm der Welt, \\ Die hatten wir vergessen.Detlev von Liliencron
=== Und weil ich ===
Und weil ich schon immer ein Wandersmann war \\ erhebt sich mein flinkes Blut \\ verzeiht mir Herd und hochgraues Haus \\ mich reisst's hinweg über Stadt \\ über Land das Licht tritt Wände und Winterwerk nieder \\ klopft mir auf die hängende Stirn \\ füllt meine Kniekehlen dass sie sich öffnen \\ jagt meinen Wirbeln Leben ein nun gehör ich \\ zu ihm es schenkt mich \\ voll bis zum Überlaufen \\ ich geh fort es muss sein muss auf die Leuchttürme rundum steigen \\ mich verschleudern und allen Leuten \\ und allem Getier wie immer im \\ Frühjahr den Kopf verdrehn \\ muss reiten auf den zottigen Schären \\ auf allen allen der Ostseeherden \\ bis später die Mittsommerinsel \\ sich schimmelweiss schimmernd hervortut \\ einlädt auf sich und sämtliche \\ Sehnsuchtsundlichtlast hochnimmt \\ auf ihre Schultern Solange bestürmt mich mein \\ Wandersmannsblut so ist es im \\ Frühjahr hinaus muss ich \\ dann bis zum Herbst \\ Herd und Haus.Dorothea Grünzweig
=== Passion ===
Der Garten dichtumwachsen \\ hinterm Pfarrhaus \\ das Grüngeschäum \\ der erste Kniestrumpftag sind \\ uns zu Kopf gestiegen \\ wir bauen Tuchpaläste zwischen \\ die Äste der Holunderbüsche warten \\ in Faltenröcken auf Prinzen \\ die uns finden uns frein und \\ schaukeln uns inzwischen \\ den Winter aus dem Leib stoßen ab und fliegen fallen \\ toben neu hinauf und \\ ritzen einen Schrei ins Blau \\ sind wir ganz oben \\ schleudern Frühlingslieder in \\ heckversteckte Nachbargärten.Dorothea Grünzweig
=== Frühling (Theodor Fontane) ===
Nun ist er endlich kommen doch \\ In grünem Knospenschuh; \\ "Er kam, er kam ja immer noch" \\ Die Bäume nicken sich's zu. Sie konnten ihn all erwarten kaum, \\ Nun treiben sie Schuß auf Schuß; \\ Im Garten der alte Apfelbaum, \\ Er sträubt sich, aber er muß. Wohl zögert auch das alte Herz \\ Und atmet noch nicht frei, \\ Es bangt und sorgt; "Es ist erst März, \\ Und März ist noch nicht Mai." O schüttle ab den schweren Traum \\ Und die lange Winterruh: \\ Es wagt es der alte Apfelbaum, \\ Herze, wag's auch du.Theodor Fontane