lieder_und_sprueche:atheistische_gedichte
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| + | ====== Atheistische Gedichte ====== | ||
| + | ===== Heinz Kahlau: Kein Gott (1973) ===== | ||
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| + | Danach vergehe ich so schnell wie Gras. \\ | ||
| + | Von mir bleibt nur, was andere verwenden \\ | ||
| + | zu ihrem Nutzen und zu ihrem Spaß. | ||
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| + | Gedanken, Verse, ein paar Gegenstände, | ||
| + | durch mich entstanden, bleiben in der Welt. \\ | ||
| + | Für eine Weile kann man sie noch brauchen, \\ | ||
| + | bis das, was keinem nützlich ist, zerfällt. | ||
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| + | Ich habe keinen Gott. Für alle Taten, \\ | ||
| + | die ich begehe, muss ich Täter sein. \\ | ||
| + | Kein Weltenrichter wartet, mich zu strafen – \\ | ||
| + | für jeden Irrtum steh ich selber ein. | ||
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| + | Ich habe keinen Vater, der mich tröstet. \\ | ||
| + | Es gibt kein Wort, das unumstößlich ist. \\ | ||
| + | Mich stützt kein Glaube. Keine weise Fügung \\ | ||
| + | besitzt ein Maß, das meinen Nutzen misst. | ||
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| + | Ich denke selbst. Ich habe keine Rettung \\ | ||
| + | vor meinen Zweifeln, wenn die Furcht mich schreckt. \\ | ||
| + | Ich hab die Grenzen meiner Höhn und Tiefen \\ | ||
| + | in meinen eignen Träumen abgesteckt. | ||
| + | |||
| + | Ich hänge ab von der Natur von Menschen, \\ | ||
| + | von allen Kräften für und gegen mich. \\ | ||
| + | Die Welt, in der ich bin, ist gut und böse, \\ | ||
| + | doch weiß ich – alles um mich ändert sich. | ||
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| + | Nichts bleibt sich gleich. Wer wagt, sich einzurichten, | ||
| + | der richtet sich für Augenblicke ein. \\ | ||
| + | In einer Welt, bestehend aus Bewegung, \\ | ||
| + | da kann ich selber nur Bewegung sein. | ||
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| + | Ich fürchte Menschen. Was sind Eis, was Fluten, \\ | ||
| + | was Pest und Feuer gegen die Gewalt \\ | ||
| + | des Untiers Mensch? Die Schreie seiner Opfer \\ | ||
| + | sind, seit es Menschen gibt, noch nie verhallt. | ||
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| + | Ich liebe Menschen mehr als alle Tiere. \\ | ||
| + | Sie suchen unaufhörlich einen Sinn \\ | ||
| + | für ihr Vorhandensein, | ||
| + | Es macht mich froh, dass ich beteiligt bin. | ||
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| + | Ich bin allein. Für kurze Augenblicke \\ | ||
| + | bin ich Geliebter, Bruder oder Freund. \\ | ||
| + | Um eine Arbeit, eine Lust zu machen, \\ | ||
| + | wenn sich ein Weg mit meinem Weg vereint. | ||
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| + | Auf dieser Erde leben Ungezählte, | ||
| + | aus denen gleiche Furcht und Hoffnung spricht. \\ | ||
| + | Ich weiß um sie. In glücklichen Sekunden \\ | ||
| + | seh ich mitunter einem ins Gesicht. | ||
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| + | Da ist kein Mensch und keine Macht vorhanden, \\ | ||
| + | nichts, das mich ganz für sich gewinnen kann. \\ | ||
| + | Ich füge mich der Stärke und der Schwäche. \\ | ||
| + | Nur wer mich tötet, hält mein Suchen an. | ||
| + | |||
| + | Ich bin missbrauchbar, | ||
| + | denn ich muss sein und suche meinen Wert. \\ | ||
| + | Ich will mich nähren, ich muss mich behausen. \\ | ||
| + | Und über Preise wurde ich belehrt. | ||
| + | |||
| + | Solange ich lebe, arbeite und liebe, \\ | ||
| + | solange sich mein Geist, mein Blut noch regt, \\ | ||
| + | bin ich dem Wesen meiner Zeit verhaftet, \\ | ||
| + | denn mich bewegt, was meine Zeit bewegt. | ||
| + | |||
| + | Ich denke noch, und bin noch zu belehren. \\ | ||
| + | Ich suche zweifelnd weiter nach dem Sinn, \\ | ||
| + | der uns zu Menschen macht, wer will mich hindern, \\ | ||
| + | die Welt zu lieben, bis ich nicht mehr bin.< | ||
