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Ethik
"Ethik" und "Moral"
Beide Begriffe werden in der Philosopie häufig synonym verwendet, grundsätzlich wird die „Moral“ eher in religiösen Kreisen rausgeholt, Säkulare sprechen lieber von „Ethik“.
Eine ganz klare Unterscheidung der beiden Begriffe fordert Michael Schmidt-Salomon:
In der Moral geht es um die subjektive Wertigkeit von Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich vorgegebener metaphysischer Beurteilungskriterien (gut und böse),
in der Ethik hingegen um die objektive Angemessenheit von Handlungen anhand intersubjektiv festgelegter und immer wieder neu festzulegender Spielregeln (fair oder unfair). Michael Schmidt-Salomon - Manifest des evolutionären Humanismus, S. 102
Ursprung der Ethik
Auch „Ethik“ ist das Produkt von Evolution. Komplexe und (heute) als wünschenswert betrachtete Eigenschaften w.z.B. Selbstlosigkeit entstanden aus der natürlichsten aller Regungen: dem Eigennutz! Das ist keineswegs widersinnig, da der Mensch ein soziales Wesen ist. Unsere Stellung in der Gruppe1) ist wichtiger als ein im Moment voller Magen - einge Millionen Jahre Evolution2) haben uns gelehrt: Ohne die Gruppe sterben wir! Unsere Stellung in der Gruppe sichert unser Überleben.
Und das Soziale ist uns in Fleisch und Blut übergegangen: menschliche Kleinkinder und Schimpansenbabies gleichermaßen handeln uneigennützig3). Bei vielen Tieren können wir unser bewährtes Prinzip „Eine Hand wäscht die andere“ sehen, der Fachbegriff lautet: Reziproker Altruismus.
Bemerkenswert ist übrigens, dass die Evolution, die wir bisher immer nur als erbarmungs- und gnadenloses Ausleseprinzip kennengelernt haben, im Prozess der Moralbildung ein ganz anderes, geradezu „menschliches“ Gesicht zeigt. Sie brachte Barmherzigkeit, Mitmenschlichkeit, Kooperation und andere - aus heutiger Sicht positiv bewertete - Verhaltensweisen hervor, allerdings nur, weil diese sich als Prinzipien erwiesen, die der Gesellschaft und damit dem Individuum eine größere Überlebenschance boten.Uwe Lehnert - Warum ich kein Christ sein will. 3. Auflage, S. 179
Davon ausgehend ist es natürlich besonders unsinnig mit der „Moral“ den Eigennutz zu bekämpfen: Michael Schmidt-Salomon zieht deswegen eine klare Trennlinie zwischen „Moral“ und „Ethik“. In der Ethik geht es um gesellschaftliche Spielregeln, welche unseren Eigennutz formen, unsere Bedürfnisse berücksichtigen, für ein verträgliches Miteinander - mit den Kriterien „fair“ und „unfair“ (statt „gut“ oder „böse“)4).
Weitere Ausführung:
Willensfreiheit
Zum Thema auch:
- Morality Without “Free Will” von Sam Harris (Auszug aus seinem Buch „The Moral Landscape“, welches auf Deutsch noch (06/11) nicht verfügbar ist)
- Ich hab es doch so gewollt - Camilo Jiménez gibt den Kenntnisstand (01/11) der Neurowissenschaften zum Thema „Freier Wille“ wieder.
Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse
Zusammenfassung eines Vortrages von Michael Schmidt-Salomon zur Veröffentlichung seines Buches „Jenseits von Gut und Böse“.
Stichwortartige Zusammenfassung
- Die Hirnforschung hat uns gezeigt, dass die klassische Vorstellung der Willensfreiheit nicht zutreffend ist5).
- Unser Hirn ist kein Organ, welches wir (das „Ich“) kontrollieren kann, das „Ich“ ist im Gegenteil eine Kontruktion des Gehirns.
- Gedanken für die keine Hirnschaltmuster vorhanden sind, können nicht gedacht werden, Emotionen, die neuronal nicht abgedeckt sind, können nicht empfunden werden.
- Wir können nur so handeln, wie wir auf Grund unserer Anlagen und Erfahrungen handeln müssen.
- Beispiel: Eva hätte nicht „Nein“ sagen können
- Das moralische Schuld-Sühne-Sünden-Prinzip ist hinfällig
- Michael Schmidt-Salomon postuliert das „Paradigma der Unschuld“
- Es ist unsinnig, sich dafür zu verurteilen, dass man der ist, der man aufgrund seiner Erfahrungen und Veranlagungen sein muss.
- Dumme Selbstgerechtigkeit führt zu moralischer Verurteilung von vermeindlich moralisch niedrig stehenderen „Bösewichten“, Unterprevilegierten
- Niemand handelt im „Namen des Bösen“ - Totalitaristen, Extremisten, etc. kämpfen immer gegen das, was sie für Böse halten, sehen sich selbst als recht-schaffend, als Idealisten, als die „Guten“.
- „Das Böse“ ist eine Fiktion, ist eine Wahnidee. Die realen Ursachen von Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Not sind uns bekannt.
- Es gibt keine „guten“ und „bösen“ Menschen.
- Menschen handeln unter dem Diktat des Eigennutz-Prinzips: Sie versuchen unter den gegebenen Bedingungen, das Beste für sich selbst rauszuschlagen
- Eine Verurteilung kann und darf nicht moralisch sein
- Wir sind aber sehr wohl berechtigt, ethisch zu verurteilen.
- Wir sind keine Ebenbilder eines ursachenfrei agierenden Gottes.
- Wir stehen nicht über der Natur, sondern sind ein Teil von ihr.
- Wir sind Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.
Wolfgang Prinz: Relative Willensfreiheit als kulturelles Konstrukt
Wolfgang Prinz bestätigt die Auffassung, dass die klassische Willensfreiheit nicht existiert, weist aber auf einen interessanten, positiven Aspekt hin: Die Fiktion, dass wir uns entscheiden können, eröffnet uns Spielräume.
[…]
ZEIT: Eine Maschine, die nur in Interaktionen funktioniert.
Prinz: Der Mensch ist eine Maschine, die ihre Lebenswelt kollektiv erfindet. Das ist der eigentliche Clou bei kulturellen Prozessen. Und diese selbst geschaffene Lebenswelt hat massive Rückwirkungen auf das individuelle Verhalten.
ZEIT: Wie meinen Sie das?
Prinz: Es gibt dann relative Freiheit in dem Sinne, dass wir uns alle dazu verpflichten, das zu tun, was wir moralisch für akzeptabel halten. Unsere Freiheit besteht darin, uns auf eine bestimmte Weise determinieren zu lassen, zum Beispiel durch vernünftige Argumente. In diesem Sinne gibt es Wahlfreiheit.
ZEIT: Ist der Glaube an Willensfreiheit dann so etwas wie eine gesellschaftliche Institution?
Prinz: Ja. Willensfreiheit ist eine gesellschaftliche Institution, die wir in unserem Kulturkreis erzeugen – und das sehr erfolgreich.
ZEIT: Und schon der Umstand, dass die Idee der Willensfreiheit existiert, erzeugt einen Freiraum für unser Handeln?
Prinz: Genau das ist die Pointe. Wir gehen so miteinander um, als könnte jeder frei entscheiden, und im Rahmen dieser sozialen Praxis sind wir willensfreie Akteure. Darüber hinaus gibt es keine Freiheit. Es ist unsere soziale Praxis, die uns in einer bestimmten Weise determiniert. Willensfreiheit ist keine Naturtatsache; es gibt keinen Menschen auf der Welt, der in seinen Entscheidungen nicht determiniert wäre.
[…]ZEIT-Interview mit Wolfgang Prinz: Die soziale Ich-Maschine (14.6.2010)
Der Einwurf Schmidt-Salomons wird nicht entkräftet, dass damit aber auch erst möglich wurde, von sich selbst und anderen etwas zu verlangen, was faktisch überhaupt nicht möglich ist. Denn so werden Schuldgefühle (und folglich Abhängigkeit von entschuldigenden Einrichtungen) erzeugt und Missstände und Ungerechtigkeiten gerechtfertigt.